Vom spindeldürren und bleichen Junkie zum Songwriter introvertierter und schmerzerfüllter Songs. Der gute Nick Cave hat schon einiges in seinem Leben mitgemacht. Besagte Drogen, Mörderballaden und vor 4 Jahren dann den plötzlichen Tod seines 15 jährigen Sohnes, worüber die Songs u. a. auf seinem mittlerweile 17. Album mit den Bad Seeds – es gibt ja noch zahlreiche Filmmusiken und sonstige Outputs mit dem guten Mann – handeln. Ghosteen ist ein Doppelalbum, und das bislang ruhigste seiner Bad Seeds-Karriere. Mehr Spoken Word als Gesang, mehr Ambient als exzentrische Instrumentalisierung. 11 Songs die einsamer, sehnsüchtiger, flehender, um mal ein paar wenige passende Adjektive in den Raum zu stellen, nicht sein könnten. Perfekter Soundtrack um bewaffnet mit Parka und Kopfhörern draussen im Regen spazieren zu gehen. Gut möglich, dass ich hier bereits vom Album des Jahres spreche Absolut grossartigstens. Absolut.
Wenn im Bus sämtliche Männer lauthals als Faschisten bezeichnet werden und man Ihnen Krebs an Ihren Penisen wünscht, dann wenn an der Langstrasse am Donnerstagmorgen, kurz vor 8 Uhr die Alkleichen an den Bushaltestellen liegen und ein paar Meter weiter die Polizei mit hochroten Köpfen einem verwahrlosten Junkie hinterherrennt, dann wenn der notgeile Latino schon auf dem Weg zur Arbeit auf penetrante Art und Weise die Frauen anmacht und versucht, sie mit einer Hunderternote willig zu machen, ja dann ist die Hitzewelle auch in Zürich angekommen.
Ja, da ging ich am letzten Montag mal wieder in die Zürcher Hafenkneipe an ein Konzert. Weil etwas verfrüht unterwegs, steige ich eine Busstation vorher aus und laufe die letzten circa 300 Meter. In der Hälfte des Walking-Marathons werde ich an einer Strassenecke von einem ziemlich schmuddeligem und langhaarigen Penner angerempelt. Nichts ungewöhnliches für die Gegend rund um die Langstrasse. Umso ungewöhnlicher, dass er sich mit einem scheuen “Sorry” entschuldigt. 15 Minuten und einen Smalltalk vor dem Eingang später stehe ich dann an der Bar der Hafenkneipe und möchte mich auf den bevorstehenden Konzertabend eintrinken. Neben mir taucht wieder der Penner von vorhin auf und bestellt mit einwandfreiem Ami-Englisch einen Schnaps (Snaps), welchen er mit zittrigen Händen Ex runterkippt. Irgendwie kommt mir die Fresse dann doch bekannt vor. Und dann macht es klick. Das ist ja Evan Dando, ehemaliger Zitronenkopf und Held meiner Jugend. Herrjeh, sieht der mittlerweile kaputt aus. Selbst ein Kurt Cobain sah gut 4 Wochen vor seinem Tod besser aus. Ich stellte mir somit die Frage, auf was für ein Konzert ich mich an diesem Abend eingelassen habe. Bei solcher Kaputtheit darf und soll man ja nicht mehr viel erwarten (beste Beispiele Sparklehorse und Chan Marshall). Halbe Stunde später steht eine Frau mit Gitarre mittleren Alters auf der Bühne. Deren Musik klingt nett. Wie die wohl heisst? In der Mitte des Sets stellt sie sich dann vor. “Sara Johnston, war mal bei Bran Van 3000 Mitglied”. Bran Van 3000, ihr wisst schon, Drinking in L.A. und so. Hat mir insgesamt auch ohne diese Information sehr gut gefallen. Dann wars soweit. Evan Dando, für welchen ich meinen sturmfreien Montagabend geopfert habe, kommt auf die Bühne. Immernoch sichtlich mitgenommen murmelt er etwas über sein Lieblingsland Frankreich. Da gibts scheinbar, im Gegensatz zur braven Schweiz, in den Bars und Clubs Codein hinter der Theke. Leider konnte auch niemand vom Publikum damit dienen. Trotzdem spielte er dann ein Ladung Hits in ganz ordentlicher, ja berührender Manier. Die ca. 60 Anwesenden jedenfalls mucksmäuschenstill. Nach gut einer halben Stunde hechtete der gute Evan dann in die andere Ecke der Bühne und fing an einen Zuschauer aufs übelste zu beschimpfen. Scheinbar hat dieser Schelm ihn heimlich fotografiert. Er zeigte ihm dann noch den Stinkefinger und wie ein Spatz fluchend wankte er zurück zum Mirko und meinte dann, dass man einen Besoffenen eh nicht ernst nehmen sollte und kicherte vor sich hin. Es folge ein akkustischer Hardcore Song. Eine Stunde, ca. 30 Songs und diverse Schnäpse später (überreicht durch die gute Sara, die scheinbar in der folgenden Nacht noch einiges mit Evan vorhatte) fiel dann der gute Mann auch noch von der Bühne. Rockstars kenne ja keine Schmerzen und schwups war er oben und spielte noch ein paar weitere Hits ohne Mikro, ohne Verstärker aus dem umfangreichen Sammelsorium der Lemonheads. Bis auf zwei gelangweilte Werber-Nasen aus der Ostschweiz, war es weiterhin still und berührend und trotz all dieser Vorkommnisse, aller Peinlichkeiten und Textlücken, ein wunderbarer, ja legendärer Abend voller Melodien für die Ewigkeit vorgetragen von einem kaputten Junkie, der jede Note und jedes Wort lebte.
Aber nun Evan, bitte pass auf Dich auf, trink weniger und lass die Finger von den Drogen. Ich möchte doch noch ein paar Konzerte mit Dir erleben. Ja?
Der aufmerksame Leser kann sich sicher noch an den Junkie aus dem 33-er Bus erinnern. Sein Zustand damals war ziemlich besorgniserregend. Umso erstaunlicher den selbigen Typen auf der selbigen Buslinie zur, notabene, selbigen Zeit wieder anzutreffen. Dieses Mal nicht kotzend, dafür in Begleitung von 2 24er-Kartons Oettinger Bier. Scheinen wohl im Angebot zu sein. Und natürlich gilt auch für Junkies die uralte Weisheit: don’t forget the alcohol. Prost.
Abenteur Verkehrsbetriebe Zürich, kurz VBZ. Tatort 33er Bus, Höhe Escher-Wyss-Platz, hinterste Sitzplatzreihe. Also da, wo meistens die Coolen anzutreffen sind, kotzte heute bei meiner mittaglichen Fahrt Richtung Arbeitsplatz ein Junkie sein letztes Blut auf die sonst schon von allerhand Schmutz und Körperflüssigkeiten geschändeten Sitzpolster. Da bleibt einem nach diesem Anblick eigentlich nicht mehr viel übrig als das Weite zu suchen und/oder auf dem tragbaren Musikabspielgerät den passenden Soundtrack zur soeben beobachteten Situation zu suchen.